Als jemand, der Mathematik studiert hat, wird man schon mal von "normalen" Menschen mit unausgesprochenem Mitleid versehen. Schließlich haben doch Mathematiker nur Zahlen im Kopf, und es mangelt ihnen häufig an sozialer Kompetenz. Aber dafür können wir auf unserer Habenseite eine erlernte Sorgfalt im Umgang mit Zahlen und Statistiken verbuchen.
Zahlen alleine sind weder wahr noch falsch. Zahlen aus statistischen Erhebungen werden nur im Zusammenhang mit Aussagen über das Untersuchungsgebiet interpretierbar. Und diese sollten stets mit dem reinen Zahlenwerk angegeben werden.
Der Sündenfall
Daher hat mich die folgende "Untersuchung" geradezu fassungslos das Heft 22 der Computerwoche zuschlagen lassen. Unter "Zahlen - Prognosen - Trends" (Seite 58) ist dort Folgendes zu lesen:
"Im Markt für relationale Datenbanksysteme gelang es Oracle auch im letzten Jahr. den Wettbewerb in Schach zu halten."
So weit, so unproblematisch. Doch dann geht's ans Zahlenwerk unter dem Titel "Weltweiter Markt für relationale Datenbanksysteme (RDBMS), 2005": Oracle 44,6%, IBM 21,4%, Microsoft 16,8% usw. Die Angaben beziehen sich gemäß der Fußnote auf einen Gesamtmarkt von 14.6 Mrd. Dollar. Quelle: IDC.
IDC, klingt doch seriös. Ist es aber nicht, es grenzt eher an einen üblen Versuch von Verdummung. Bei ein wenig journalistischer Sorgfalt hätte der zuständige Redakteur mal ins eigene Archiv geschaut - was ich dann getan habe.
Zweifel ist angesagt
Denn was sollte einem "Kenner der Datenbankszene" sofort bei diesen Zahlen auffallen? Vor zwei Jahren haben Gartner-Analysten noch von einem Kopf-an-Kopf-Rennen von Oracle und IBM bei einen Marktanteil von jeweils ca. 34% geschrieben. Wie ist es also möglich, dass innerhalb dieses Zeitraumes, nahezu unbemerkt und unkommentiert, der eine seinen Anteil um 10% steigern konnte, der andere mehr als 10% verliert? Da ist doch erst einmal Skepsis angesagt.
Es hilft ein gesundes Misstrauen gegen einfach in den Raum gestellte Zahlen. Jeder Statistiker würde hier fragen: Auf was beziehen sich eigentlich die Prozentwerte, was ist dieser "Gesamtmarkt"?
Gesamtmarkt ist nicht Gesamtmarkt
Hier hilft ein kurzer Rückblick ins CW-Archiv, für CW-Redakteure eigentlich ein leichtes Unterfangen:
CW 23, 4.6.2004, "Datenbankmarkt ist wieder im Aufwind": Nach Gartner lag IBM im Jahre 2003 vor Oracle und Microsoft. als Basis der Erhebung wurden "Umsätze mit Neulizenzen für relationale Datenbank-Management-Systeme (RDBMS)" angegeben.
CW 24, 11.6.2004, "Alles anders im Datenbankmarkt?": Hat da jemand Einspruch erhoben? In diesem Beitrag werden den Gartner-Zahlen Ergebnisse einer IDC-Untersuchung gegenübergestellt. Danach liegt Oracle vor IBM und Microsoft. Der Grund: IDC bewertet nicht nur Neulizenzen sondern auch Einnahmen aus Wartung. Gut, dass Oracle bei Letzterem gerne zulangt.
Wie lassen sich nun die Veränderungen der Marktanteile gemäß IDC von 2003 auf 2005 um +4,8% bei Oracle und um sogar -9,9% bei IBM begründen?
Vergleiche a la IDC
Das sollte ein kenntnisreicher CW-Redakteur leisten. Die Antwort findet man sicher in den besagten IDC-Studien. die kosten aber, und zwar nicht zu knapp. Entweder hat die CW Zugang zu diesen Studien, oder sie hätte nicht unreflektiert irgendwelche Presseverlautbarungen von IDC übernehmen dürfen.
Also bleiben mir Anfragen bei "Kennern der Datenbankszene". Danach hat IDC die Basis seiner Erhebungen in der Zwischenzeit geändert: Auf z/OS- und i-Series-Systeme installierte RDBMS würden nicht mehr berücksichtigt oder zumindest mit einem geringeren Wert im Vergleich zu 2003.
Das würde die doch eklatanten Veränderungen innerhalb von nur zwei Jahren erklären.
Trau, schau wem
Bleibt die Frage, warum IDC die Berechnungsbasis geändert hat, und warum IDC-Analysen in Vergleich zu anderen Untersuchungen stets Oracle besser aussehen lassen. Dies kann nur IDC beantworten. Fest steht für mich schon länger, dass Research-Unternehmen, die viel Geld mit von Softwareherstellern in Auftrag gegebene Studien verdienen, nicht als uneingeschränkt unabhängig betrachtet werden können.
Wie IDC seine "Unabhängigkeit" auffasst, ist eine Sache. Wie leichtfertig allerdings die Computerwoche die Ergebnisse der Analysen solch nicht immer neutralen Marktforscher übernimmt, ist schon sehr ärgerlich. Zahlen wir Abonnenten so wenig Geld, dass mangels selbigem die journalistische Sorgfalt hinten über fällt?
In ihrem Segment ist die CW nicht alternativlos.
Ich habe mich ja schon länger nicht mehr über die Computerwoche echauffiert. Obwohl ... in der heutigen Ausgabe gäbe es was, da hat mich so ein Gefühl von Bildzeitung überkommen. Dabei bleibt es dann aber auch. Für so eine "saure Gurken"-Zeit hab
Aufgenommen: Aug 05, 20:18